Was bedeutet Prävention?
Plädoyer zum Verständnis einer Positiven Prävention
„Die Zeigefingerpädagogik haben wir lange genug benutzt, jetzt sollten wir die positiven Aspekte einer umfassenden Gesundheitsförderung in den Fokus einer durchdachten Kommunikation und Information stellen: Die Gefahren und Schicksale rund um morbide Krankheiten dürfen weiterhin ein Grund bleiben, aber nicht die alleinige Motivation, sich um Gesundheit zu kümmern. Zu oft bleiben die vielschichtigen, positiven Potenziale (Impacts) einer ganzheitlichen und fundierten Gesundheitsförderung auf der Strecke, die ein wesentlich größerer Antrieb sein sollten: soziale, körperliche wie geistige Leistungsfähigkeit und Lebensqualität bieten auch einen Schutz vor Unfällen, Krankheiten oder sonstigen Beeinträchtigungen – aber eben nicht ausschließlich! Jahrelange Erfahrung in Projekten oder Schulungen zu diesem Thema haben mich fortwährend dazu gebracht, die positiven Aspekte der Prävention in den Vordergrund stellen zu wollen. Mit diesem Plädoyer sollen subjektive wie objektive Erkenntnisse dazu in mehreren Dimensionen und aus verschiedenen Blickwinkeln zusammengetragen werden“.
Prof. (FH) Dr. Mathias Bellinghausen
Prävention (lateinisch praevenire = zuvorkommen) ist im Kontext der Gesundheit und insbesondere der Gesundheitsförderung mittlerweile ein etablierter Begriff, mit dem sowohl ein Ausschalten oder Verringern von Risikofaktoren als auch eine gesundheitsförderliche Lebensstilgestaltung des Einzelnen oder eine gesundheitsförderliche Gestaltung von Verhältnissen in bestimmten Lebenswelten beschrieben wird. Hierzu zählen auch Vorsorgeuntersuchungen oder Impfungen. Ziel ist es also, nicht nur kurzfristig Unfälle oder langfristige Gesundheitsgefahren zu vermeiden, zu verringern oder zu verschieben, sondern im gesundheitsförderlichen Sinn möglichst resilient und widerstandsfähig gegenüber Krankheiten zu sein und viel mehr einen Zustand des körperlichen, geistigen und sozialen Wohlbefindens zu erzielen.
Prävention ist in der Alltagssprache nicht eindeutig
Der Begriff Prävention ist vielschichtig und im Alltagsgebrauch durchaus mehrdeutig. Fragt man bspw. einen Polizisten nach Prävention, wird er vermutlich direkt an die Gewalt- oder Verbrechensprävention denken; ein Sozialarbeiter zuerst an Drogenprävention, ein Mitarbeiter der Berufsgenossenschaft an Arbeitsschutz, ein Feuerwehrmann an Brandschutz, ein Fahrradfahrer an Verkehrssicherheit oder ein Arzt je nach Fachrichtung möglicherweise an die Krebsvorsorge oder die Prophylaxe in der Zahnmedizin. Innerhalb dieser Verständnisse von Prävention lassen sich noch zusätzliche Unterschiede erkennen. Während der eine sich an dem reinen Risikofaktor orientiert, denkt der andere bspw. an die Stärkung des Immunsystems, an Schulungen im Umgang mit möglichen Gefahren oder an Aufklärung.
In verschiedenen Bereichen der Präventionsarbeit tauchen nicht nur ein unterschiedliches Verständnis, sondern viele Herausforderungen, Rahmenbedingungen oder Wirkungszusammenhänge auf. Beispielhaft lässt sich das Übergewicht bei Kindern oder Jugendlichen betrachten: Dies lässt sich auf genetische Dispositionen, Ernährungsweise, Bewegungsverhalten, psychische oder andere depressive Störungen/ Erkrankungen, Schlafmangel u.a.m. zurückführen. Alle Faktoren können sich zudem gegenseitig bedingen bzw. in unterschiedlichem Maße auslösen und verstärken. Es wäre also falsch, einem übergewichtigen Kind nur mit einer anderen Ernährungsweise zu begegnen. Hier wird deutlich, wie komplex Prävention auf verschiedenen Ebenen sein kann. Wenn nun die Erkenntnis hinzukommt, dass die Wahrscheinlichkeit, einen übergewichtigen Jugendlichen wieder in ein Normalgewicht zu überführen, bei unter 5% liegt, dann wird der Handlungsbedarf deutlich, nämlich es gar nicht erst zu dem Übergewicht kommen zu lassen. Eine große Herausforderung vor dem Hintergrund, dass mittlerweile ein Drittel der Weltbevölkerung übergewichtig ist.
Ein weiteres Beispiel liefert der Stress: Im Ranking der Liste der Krankheiten, die für Arbeitsausfälle verantwortlich sind (AU-Tage), haben sich die psychischen Erkrankungen in den vergangenen Jahren schnell auf den vordersten Platz geschoben. In dem neuen Register ICD 11, das die WHO ab 1.1.2022 veröffentlichen will, wird der Burnout erstmals als eigenes Symptom aufgeführt. Mittlerweile ist aber hinlänglich wissenschaftlich bewiesen, dass sich Stress auch auf andere Weise auswirken kann, wie bspw. in Form von chronischen Rückenschmerzen oder eines höheren Inflammationsrisiko. Ebenso wie bei Adipositas zeigt sich in einem Burnout-Prozess, das durch frühzeitiges Intervenieren oder bestenfalls vorherige Förderung der Stressresilienz etc., nicht dieser meist zeitintensiv reparable Krankheitsverlauf entstanden wäre.
Prävention ist ganzheitlich
Prävention ist interdisziplinär
Prävention ist ein Prozess
Prävention ist Wissenschaft
Prävention ist Kommunikation
Prävention ist Partizipation
Prävention ist sinnstiftend
Prävention ist Empowerment und Kompetenz
Prävention ist ein Paradigmenwechsel
Prävention ist positiv
Aus „müssen“ wird ein „dürfen“, aus „sollen“ ein „wollen“.